Teil 17

Anziehung ist ein unbeschreibliches Gefühl. Eine Verbindung die aus dem tiefsten Inneren kommt. Sich dagegen zu wehren ist sinnlos. Letztendlich leiten uns unsere Gefühle und wenn ein Gefühl so stark ist, dass nichts anderes mehr zählt, ist alles andere machtlos. Jede Faser deines Körpers schreit vor Sehnsucht. Jede Faser deines Körpers stirbt je länger du widerstehst. Dieses Gefühl der tiefen Verbundenheit. Als würde dein Inneres an einem Seil zu etwas hingezogen werden. Je mehr du dich wehrst desto mehr zerspringt in dir. Zerspringt in tausend Stücke. Tausend und aber tausend Stücke…

Ich liege auf dem Bett und drehe mich unruhig hin und her. Die letzten Tage war voll mit Arbeit und das war auch gut so. Die Ablenkung habe ich gebraucht. Lilly hat zum Glück in den letzten Tagen Ruhe gegeben und war beschäftigt mit ihren Dingen.

Ich drehe mich auf den Bauch. Ich habe dieses starke Gefühl. Tausend Armeisen unter meiner Haut. Als würde mich etwas durch den ganzen Körper ziehen. Als würde etwas in mir schreien Lauf. Er ist endlich wieder da. Lauf… wie vom Blitz gestochen schrecke ich hoch. Tief drin springt mein Herz tausend Sprünge. Meine Arme, meine Beine kribbeln.

Und dann weiß ich es…

Henry!

Ich springe vom Bett hoch und renne… ich kann an nichts mehr denken als der Anziehung zu folgen. Je näher ich komme desto stärker wird das Gefühl. Gerade als ich im Flur ankomme öffnet sich die Tür. Die Taschen fliegen in die Ecke… meine geliebten tief blauen Augen starren mich an… die Tür fliegt zu… ich renne… ich renne in weit geöffnete Arme. Das nächste was ich spüre ist Unendlichkeit und Wärme. Tiefe ankommende Wärme und Geborgenheit. Ich fühle mich nirgends so sicher wie in seinen Armen. Seine starken Arme. Mein Henry…

Mein ganzer Körper bebt. Meine kleinen Arme schlingen sich so fest sie können an ihn. In seine Haare und um seinen Hals herum, während er mich an der Hüfte trägt und mich genauso festhält. Ewigkeiten liegen wir uns in den Armen.

Mit einem Ruck ziehe ich seine Haare nach hinten und meine Lippen finden den Weg zu seinen. Kaum das sich unsere Lippen berühren durchfährt mich ein Blitzschlag. Oh Gott ich habe ihn so vermisst. Es dauert keine Minute und unser Kuss wird intensiver. Henry drückt mich gegen die Wand und zieht sich dabei die Jacke aus. Ich muss mehr von ihm spüren. Mehr von seinem Körper, mehr von seiner Nähe und Wärme. Seine Küsse an meinem Hals jagen mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper.

„Ali, Babe, lass mich atmen. Atme…“ haucht Henry an mein Ohr. Wir sind beide vollkommen aus der Puste. Dabei will ich doch nur nicht das er wieder geht.

„Ich werde nicht wieder gehen. Hörst du mich? Ich werde nicht gehen!“ sagt Henry mit meinem Gesicht in seinen Händen, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich atme tief durch und merke erst jetzt wie wenig Luft ich hatte. Zarte Küsse setz Henry von meiner Schulter über meinen Hals bis zu meinem Mund.

„Wir haben alle Zeit der Welt, Alison. Ich werde nicht gehen. Alles andere zieht rechts vorbei“ dabei sieht er mich an. Er nimmt meinen Kopf wieder zwischen seine Hände und blickt mich an. Ich liebe diese Augen. Ich liebe ihn…

„Ich liebe dich“ gerade als ich es aussprechen will, hat es Henry schon ausgesprochen. Ich kann es kaum glauben. Mir bleibt die Luft weg. Wie kann jemand wie er, jemanden wie mich lieben? So kaputt… so zerbrechlich. Doch er tut es…

„Alison, ich liebe dich über alles!“ er verleiht den Worten noch mehr Bedeutung, als sie eh schon für mich haben.

Ich schaue in seine tief blauen Augen und atme durch.

„Ich liebe dich auch!“

Nichts kann diese Verbindung beschreiben. Kein Wort ist aussagekräftig genug, um diese Gefühle zu beschreiben. Das einzige was ich noch sehe ist das tiefe blau seiner Augen. Nicht dieses kühle blau, sondern ein strahlendes tiefes aber nicht zu dunkles blau. Mein blau. Mein Henry.

Ich nehme meine Hände an seinen Kopf und ziehe ihn an mich heran. Sein Hände gehen unter meinen Po und er hebt mich an. Während wir uns küssen trägt mich Henry in das Schlafzimmer. Langsam setzt er mich auf der Kommode ab. Er küsst von meinem Hals zu meinem Schlüsselbein und zieht mir mein Oberteil über den Kopf. Direkt habe ich die Hände wieder auf seinem Körper und ziehe ihn ganz langsam sein T-shirt aus. Sein Haar ist zerzaust, aber genauso liebe ich es. Ich küsse an seinem Hals eine Spur über seine Brust zu der anderen Seite seines Halses. Henry atmet schwer und hat die Augen geschlossen. Als er sie öffnet sehe ich wieder meine blauen Augen.

„Ali du machst mich wahnsinnig… wahnsinnig verrückt nach dir!“

„Ich liebe dich“

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 16

„Lilly was machst du hier? Wie bist du rein gekommen?“ frage ich benebelt und bewege zum ersten Mal meine Kopf. Alles gut unheimlich weh. Als hätte ich Jahre dort gesessen. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht.

„Ali meine Güte endlich sprichst du. Ich versuche seit Minuten dich zu erreichen. Du warst vollkommen weggetreten… Ali bitte steh auf du gehst jetzt erst mal duschen und danach müssen wir reden!“ Lilly zieht mich langsam hoch. Ich kann das Gleichgewicht kaum halten also bringt sie mich ins Bad und stellt mich unter die Dusche.

Die warmen Tropfen auf meiner Haut helfen Wunder. Ich beginne wieder zu Leben. Ich atme wieder. Ich kann mich wieder bewegen… auch wenn mein Körper höllisch brennt. Ich fahre mir mit den Händen langsam durch meine Haare.

Wie konnte es heute so weit kommen? Wie kann ich Lilly überzeugen es für sich zu behalten? Sie muss es für sich behalten. Sie darf es niemandem sagen. Keiner würde es verstehen… keiner versteht es jemals. Ich lehne meinen Kopf gegen die kühle Wand. So stehe ich locker 20 Minuten unter der Dusche. Irgendwann bin ich in der Lage aus der Dusche herauszukommen und Kuschel mich in meine bequeme Kleidung ein. Ich bürste meine Haare und verlasse das Bad. Lilly sitzt im Wohnzimmer und dreht sich sofort um als sie mich sieht.

„Ali setz dich. Erzähl mir bitte was da passiert ist? Hast du so etwas öfter? Bist du deshalb wieder mit Henry zusammen? Ohje ich muss ihn anrufen“, Lilly will gerade zu ihrem Handy greifen, da stoppe ich ihre Hand.

„Lilly bitte. Ich bitte dich jetzt um etwas sehr wichtiges. Du darfst das heute niemandem erzählen… niemandem. Auch nicht Henry. Er würde wieder gehen und ich kann gerade nicht noch mehr Menschen verlieren. Bitte Lilly..“, meine Stimme versagt. Ich schaue nach unten und hoffe das Lilly versteht wie wichtig das ist.

„Ali ich weiß nicht… so was kann doch nicht gesund sein. So was kann doch nicht normal sein“, Lilly schüttelt den Kopf.

„Bitte Lilly du musst es mir versprechen. Ich werde mit dir reden, über alles und dann wird’s mir besser gehen. Aber kein anderer darf davon etwas wissen. Sie würden mich als krank ansehen“, in Gedanken fügte ich hinzu: und verlassen werden sie mich, so wie alle, so wie immer.

„Ok Ali aber ich muss es wissen. Was zur Hölle war das?“, Lilly nimmt mich in den Arm. Irgendwie muss ich vom Thema ablenken. Hunger! Ich hab Hunger. Lilly hat auch immer Hunger.

„Lilly bitte ich hab richtiges Magenknurren. Er redet schon mit mir. Könnten wir erst einmal etwas essen?“, frage ich mit meinem super Hundeblick. Den hab ich echt drauf.

Lilly springt von der Couch auf und sagt: „Ohja gute Idee. Ich hole uns Sushi! Bin gleich wieder da“, schreit Lilly bereits halb auf den Weg. Die Tür fliegt zu.

Ich lasse mich zurück auf die Couch fallen und atme tief durch. Ich habe die Hoffnung noch einmal davon gekommen zu sein. Atmen Alison… einfach Atmen. Die Kälte umhüllt mich wie ein Eismantel. Ich bekomme Gänsehaut und mir wird kalt. Ich ziehe mir die Decke bis zur Nasenspitze und kuschle mich in die Couch ein. Als mich endlich Wärme überkommt, entspannt sich mein Körper sichtlich. Mein Körper fühlt sich so schwer an.

Kennt ihr das wenn man selbst ganz langsam wird? Andere sind gefühlt im sechsten Gang unterwegs und du tuckerst im ersten Gang neben den anderen her. So fühle ich mich gerade. Lilly ist seit einigen Sekunden mit dem Essen wieder da und rast im sechsten Gang von der Küche zur Couch, hin und her. Während sie hin und her huscht schaffe ich gerade so einen Atemzug. Alles fühlt sich schwer an. Auch beim Essen verschlingt Lilly das Sushi, während ich gerade so ein Stück schaffe. Ich denke immer bei den anderen läuft die Uhr einfach schneller und meine hat bereits Risse und Kratzer, deshalb läuft sie langsamer. Ich bin langsamer…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 15

Kennt ihr das Gefühl komplett zu sein? Rundum glücklich? Ohne jegliche Angst? Ohne Dunkelheit? Ohne vollkommen ausgelaugt zu sein. Manchmal stelle ich mir dieses Gefühl vor. Häufig sitze ich in diesem Traum auf einer Bank und blicke über die Orte in der Nähe hinweg. Es ist ein strahlender Sommertag. Die Sonne wärmt meinen ganzen Körper. Die Luft angenehm warm und frisch. Der Himmel strahlend blau und warm, ohne jegliche Wolke. Das Gefühl welches ich in diesem Moment habe muss Glück sein. Ganzheit. Frieden…

Es soll wohl echt Menschen geben, die dieses Gefühl für länger haben. Leider kenne ich dieses Gefühl nur teilweise. Minimal. Ich kenne dieses Gefühl nur in manchen Momenten. Meistens verbunden mit Henry. Doch es dauert nicht lange und diese unterschwellige Angst ist wieder da. Sie ist zwar meistens weit in meinem Inneren verborgen, doch es gibt Momente an denen ich Angst habe. Die ganze Angst trifft mich dann mit voller Härte. Verzehrende Angst. Kälte, selbst im Innern. Gänsehaut am ganzen Körper und furchtbare Angst.

Genau diese Angst habe ich jetzt…

Zusammengerollt sitze ich zwischen dem Bett und der Wand. Meine Finger krallen sich versteift in meine Arme. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Keinen Schmerz, keine Zeit, keine Wärme, keine Hoffnung. Nur Angst. Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet. Ich weiß nicht wie lange ich dort sitze. Ich weiß nichts mehr…

Es dauert etwas bis ich ein dumpfes Klopfen realisiere. Ein schweres Klopfen. Ich kann nicht sagen ob es in meinen Vorstellungen ist oder in der Wirklichkeit. Mein Blick verschwimmt. Tränen laufen über mein Gesicht. Wieso passiert mir das? Wieso kann ich nicht auch glücklich sein wie alle anderen?

Dumpfe Schritte… eine knacksende Stufe… erneut dumpfe Schritte. Dann kurze Zeit nichts mehr. Stickiger, alter und muffiger Geruch steigt in meine Nase, gefolgt von etwas bitterem, dass mich husten lässt. Eine kleine Bewegung von mir und tausend kleine Staubfussel setzen sich in Bewegung. Die Türklinke quietscht und bewegt sich langsam nach unten. Quietsch… bis zum Anschlag und die Tür schwingt langsam auf… Dunkelheit und Kälte…

Ein Schrei reißt mich aus meinen Vorstellungen, aus meinen Erinnerungen. Wer schreit hier?

„ALI… Ali hörst du mich? ALISON!“,…

Meine Ohren sind wie betäubt. Ich kann nicht mal verstehen wer nach mir ruft. Als hätte ich Watte im Ohr. Ich blinzele ein paar Mal. Mein Blick ist weiterhin verschwommen. Eine große Gestalt kniet vor mir. Ich kann nicht einmal wegrennen. Wer auch immer das ist… du kannst mit mir machen was du willst… ich bin sowieso vollkommen verloren. Doch die Person berührt meine Arme. Zärtlichkeit passt nicht in eine Vorstellung. Dort gibt es nur Gewalt… keine Zärtlichkeit.

„Alison du machst mir Angst… WACH AUF!“ schreit Lilly.

Lilly. Mit den letzten Worten wird mir klar, dass Lilly vor mir sitzt. Meine kleine Schwester Lilly. Absolut unschuldig… zum Glück.

Keine zwei Tage später liege ich auf meinem Bett und versuche die Ereignisse der letzten Tage zu begreifen. Tränen laufen über meine Wange. In den letzten Tagen sind zu viele Tränen geflossen. Ich höre kleine Schritte direkt nebenan und weiß in wenigen Sekunden wird Lilly in mein Zimmer kommen. Also wische ich schnell meine Tränen weg und versuche mich zu beruhigen. Sie darf nichts davon erfahren. Niemals!

„Ali? Ali? Ali?“, Lilly stürmt in mein Zimmer überglücklich und schmeißt sich auf mein Bett.

„Ali ich habe heute eine eins in Mathe geschrieben“, sie quietscht und springt auf meinem Bett herum.

„Wow du Streber“, antworte ich und kneife sie in die Seite. Direkt lässt sie sich fallen und landet halb auf mir. Autsch… aber ich hab sie einfach zu lieb. Sie lacht und lacht…

„Lilly? Wo steckst du?“, unsere Mutter kommt in mein Zimmer. Ich kann sie nicht mal ansehen. Ich verachte sie für all das.

„Ach hier bist du. Komm Liebling wir gehen einkaufen“, sagt sie zu Lilly. Lilly rennt sofort in ihr Zimmer und holt ihre Jacke.

Meine Mutter macht einen Schritt auf mich zu und schaut mich mit dem gleichen Blick an wie im Auto vor zwei Tagen.

„Deine Entscheidung Alison. Entweder nehme ich dich mit oder Lilly… für was entscheidest du dich? Du weißt ja, dass du die Klappe halten musst“, sagt sie.

Es dauert kurze Zeit bis ich realisiere, dass sie Lilly mit zu diesem Mann nehmen möchte. Zu diesem kalten Platz… zu diesem ekelhaften Mann. Ist das ihr Ernst? Wie kann sie uns so etwas antun?

„Ich warte unten. In 5 Minuten treffen wir uns im Auto.“, sagt meine Mutter und geht. In diesem Moment wünschte ich, sie würde für immer gehen und nie wieder kommen.

Ich stehe rasend schnell auf, schließe Lillys Tür und bin keine Minute später wieder in dem Auto. Lilly darf das nicht wissen. Lilly darf nicht so kaputt gehen wie ich… es ist meine Aufgabe Lilly zu beschützen…kleine unschuldige Lilly…

Ein Schlag reißt mich aus meinen Erinnerungen. Mein Blick wird klarer und ich sehe Lilly direkt vor meinem Gesicht. Sie hat mein Gesicht in den Händen und redet wild auf mich ein. Aber meine Ohren klingen noch als hätte es eine Explosion gegeben.

Kleine Arme Lilly…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 14

Ich bin auf einmal dieses kleine Mädchen. Zwei geflochtene Zöpfe mit kleinen rosa Bändern im Haar. Ein schönes Jeanskleid mit weißen Rüchen Socken. Ich habe dieses Kleid geliebt. Am liebsten hätte ich sogar darin geschlafen. Aber Mama und Papa verbieten es mir immer. Mit meinem Springseil in der Hand, laufe ich die Straße entlang. Meine Zöpfe fliegen im Wind und mein Lachen schallt durch die ganze Straße.

Das war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben. Ein paar Jahre später werde ich akzeptieren müssen, dass dieses Mädchen der Vergangenheit angehört. Sie ist damals in Elzheim wohnen geblieben. Manchmal habe ich das Gefühl wenn ich heute in meinem früheren Zuhause bin, dass dieses Mädchen dort irgendwo noch herumspukt. Alles schlechte begann mit dem Umzug meiner ganzen Familie. Wir bauten damals ein Haus in Allbach. Unser eigenes kleines Haus. Das Haus, welches ich heute so liebe. Doch leider ging in diesem Haus auch einiges schief. Das kleine Mädchen musste groß werden…

Ich wache durch laute Schreie auf. Es dauert eine Sekunde bis ich merke, dass ich in meinem Kinderzimmer bin. Mein schönes Zimmer, dass noch nach frischer Farbe riecht. Papa und ich haben vorgestern mein Zimmer gestrichen. Ich wollte diese kindliche Farbe nicht mehr. Immerhin bin ich fast Erwachsen. Gut noch nicht ganz, aber mit 16 Jahren zählt das schon fast. Schreie reißen mich aus meinen Gedanken. Meine Eltern streiten sich wieder mal… wie ich das hasse. Seit Jahren geht das schon so. Weghören funktioniert nicht. Plötzlich geht meine Tür auf. Lilly. Oh Gott ich hab Lilly ganz vergessen. Normal wenn unsere Eltern mal wieder streiten gehe ich rüber zu Lilly und schlafe bei ihr. Dieses Mal habe ich viel zu spät von den Schreien gehört. Ich war einfach zu müde.

„Ali kann ich bei dir schlafen. Mama und Papa sind zu laut…“, flüstert Lilly und kommt mit ihrem kleinen Teddy in der Hand in mein Zimmer.

„Na klar Schniff. Schließ aber bitte die Tür“, antworte ich. Sie schließt die Tür und tappst mit ihren nackten Füßen zu meinem Bett rüber. Schnell kriecht sie unter die Decke.

„Ali warum streiten Mama und Papa immer?“, sagt Lilly mit verweinter Stimme.

„Lilly du weißt doch, dass es keinen wirklichen Grund gibt. Sie streiten einfach. Sag hast du geweint?“, frage ich Lilly und betrachte ihr Gesicht. Doch sie versteckt ihr Gesicht an meiner Schulter.

„Lass und nicht mehr darüber reden Lilly. Wir müssen schlafen. Morgen ist wieder Schule… erinnerst du dich noch an die Geschichte, die ich dir angefangen habe zu erzählen? Nun ich erzähle sie dir weiter bis du schläfst. Die kleine Prinzessin, ihre Mutter Königin und der Vater König spazierten Hand in Hand auf dem Feld entlang. Am Horizont ging die Sonne unter…“, ich erzähle die Geschichte und Lilly schläft keine Sekunde später ein. Leider kann ich nicht mehr schlafen. Das ist meistens so. Am liebsten würde ich aufstehen und beide meiner Eltern so schütteln, bis sie merken was sie da tun. Aber sie merken es nicht. Also fallen auch mir irgendwann die Augen zu…

Am nächsten Tag bin ich gerädert und müde. Ich kämpfe mich durch die Schule. Jeder Unterricht fordert alles von mir. Das kann ich aber gut. Mir draußen nichts anmerken zu lassen. Generell merkt man es keinem von uns an. Gott sei dank ist die letzte Stunde vorbei und ich packe meine Sachen zusammen. Die Heimfahrt im Bus fliegt an mir vorbei. Zuhause angekommen, gehe ich direkt wieder in mein Zimmer. Ich schmeiße meine Tasche in die Ecke und lege mich auf mein Bett. Keine Minute später stürmt meine Mutter in mein Zimmer und erklärt, dass sie einkaufen möchte und ich mitkommen soll.

„Wir fahren jetzt Alison. Dein Vater wird erst gegen Abend heimkommen und Lilly ist bei einer Freundin“, erklärt meine Mutter mit dieser Stimme.

„Kannst du nicht alleine fahren? Ich bin müde und fertig von der Schule“, frage ich nach.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? War ja klar, dass du so undankbar und egoistisch nein sagst. Ich lasse dir aber keine Wahl. In fünf Minuten bist du unten.“ Damit beendet sie das Gespräch und geht runter.

Ich atme durch und stehe schnellst möglichst auf. Ich weiß aus Erfahrung, dass ich meiner Mutter besser nicht widersprechen sollte. Ich gehe so wie ich bin runter und gehe direkt zum Auto. Ohne groß zu sprechen setze ich mich ins Auto. Meine Mutter kommt hinterher und startet das Auto. Wir reden nichts miteinander. Ich schaue aus dem Fenster. Draußen ist es warm, die Sonne scheint und taucht alles in ein warmes Licht. Draußen warm, im Auto eiskalt. So fühle ich mich häufiger. Meine Mutter und ich hatten noch nie eine enge Beziehung. Sie hat mir immer das Gefühl gegeben an zweiter Stelle zu stehen. An erster Stelle war immer meine Schwester. Manchmal habe ich sogar gedacht ich komme bei ihr an überhaupt keiner Stelle. Der Einkauf schlendert so vor sich hin. Als der Einkauf im Auto ist, fahren wir wieder nach Hause. So dachte ich jedenfalls. Aber wir biegen nicht ab wo wir abbiegen sollten. Wo fahren wir hin?

„Mama du hast die Abfahrt verpasst“, sage ich und schaue mich um.

„Nein wir fahren noch wo anders hin“, antwortet sie voller Freude.

„Wohin denn?“ frage ich neugierig.

„Das wirst du schon noch sehen“, antwortet sie kurz.

Wir fahren keine zehn Minuten und bleiben vor einem kleinen Familienhaus mit Vorgarten stehen. Ich kenne weder das Haus noch die Gegend. Was zur Hölle wollen wir hier?

„Du bleibst sitzen und bist still. Ich bin in einigen Minuten wieder da“, sagt meine Mutter, steigt aus und geht auf das Haus zu. Was soll das Ganze denn? Ich habe nicht mal Zeit zu fragen, da ist sie schon im Haus.

Ich sitze jetzt schon eine Stunde im Auto. Das Radio nervt mich. Dieses Auto nervt mich. Dieser Ort nervt mich. Einfach alles nervt mich. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich will schon fast aus dem Auto steigen und weglaufen oder Papa anrufen, als die Haustür aufgeht. Meine Mutter tritt hinaus und hinter ihr ein Mann. Ein älterer Mann. Meine Mutter schaut mir in die Augen, dreht sich dann zu dem Mann um und küsst ihn… Ich traue meinen Augen nicht. Ich atme ganz schnell. Ich weiß nicht was ich denken soll. Meine Mutter. Ein fremder Mann. Ein Kuss. Eine Stunde in diesem Auto. Atmen… ich kann nicht Atmen.

Meine Mutter steigt wieder ins Auto ein. Sie schaut mich an und grinst überglücklich. Ich kämpfe mit den Tränen aber ich darf nicht zulassen, dass ich vor ihr weine. Meine Augen brennen wie Feuer. Mein Herz schmerzt, so schnell schlägt es.

„Ach Schatz. Wir fahren jetzt heim“, sagt sie überglücklich. Dann schaut sie mir direkt in die Augen.

„Dein Vater wird davon nichts erfahren! Du wirst ihm nichts sagen. Wenn du auch nur ansatzweise den Mund auf machst, verlierst du deine ganze Familie. Aber das wirst du nicht. Stimmt’s?“ sagt sie mit einem bestimmten Ton.

Ich kann vor lauter Angst nichts sagen. Ich kann die letzten Stunden nicht in Worte fassen. Ich kann das was geschehen ist nicht verstehen. Wie konnte sich meine Welt so schnell verändern? Ich kann nicht atmen. Um dem Ganzen zu entkommen schaue ich aus dem Fenster. Die Fahrt nach Hause nehme ich nicht wahr. Ich höre nur meine Mutter singen und lachen…

Ich kann nicht atmen…

Ich fühlte mich damals schon so schlecht. Nur wusste ich nicht, dass es noch viel schlimmer kommen würde…

Atmen Alison… einfach Atmen…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 13

Henry ist jetzt seit 3 Tagen weg. Noch 4 Tage muss ich aushalten, bis er von der Fortbildung wieder kommt. Seit ich ihn damals angerufen habe, waren wir ab und zu alleine, aber so sehr wie jetzt fehlte er mir noch nie. Bevor er gefahren ist, diskutierten wir hundertfach, darüber, dass er die Fortbildung absagen wollte aus Angst mich alleine zu lassen. Ich versicherte ihn, dass es mir gut geht und er ruhig fahren kann. Die Angst lässt nach und seit Wochen fühle ich mich wieder stärker. Auch wenn ich mich jetzt einsam fühle, weiß ich auch, dass er bald wieder da sein wird. Ich schicke ihm eine SMS.

Vermisse dich…

Keine Minute später bekomme ich eine Nachricht zurück.

Du fehlst mir auch… wünschte du wärst hier.

Ich lege mein Handy zur Seite und räume meine Einkäufe ein. Ich muss später unbedingt etwas Sport machen, bevor ich schlafen gehe. Ich gehe nicht ins Fitnessstudio weil ich kräftig bin und abnehmen möchte, sondern weil ich etwas gebraucht habe zum abschalten und um Energie los zu werden. Wenn auf der Arbeit Stress war, bin ich oft emotional ausgelastet aber körperlich fehlt da etwas, was mich nachts schlecht schlafen lässt. Mein Weg von Henrys Wohnung zum Sportpark ist nicht weit.

Das Fitnessstudio ist recht leer heute und so ziehe ich in Ruhe mein Programm durch. Ab und zu kommt Christof, mein Lieblingstrainer, vorbei und stellt meine Gewichte höher oder fordert mich mit neuen Übungen. Er ist einer der Besten hier. Er redet mit allen und kümmert sich um die Besucher. Er versucht jeden zu korrigieren und zu unterstützen. Mein ganzer Körper ist müde und schmerzt, als ich in die Umkleiden komme. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Auf einmal durchfährt mich eine Gänsehaut… mir ist total kalt. Ich schaue hoch zum Spiegel und schaue mich um. Doch hier ist niemand. Ich schaue um die Ecke in den Kabinen nach und bei den Duschen. Aber nichts. Warum ist mir dann so kalt? Ich ziehe meine Kleidung an und räume mein Schließfach aus. Plötzlich höre ich’s die Duschen anspringen. Da scheint wohl doch jemand zu sein. Beruhig dich Alison… ist bestimmt nur ein Besucher der Sport getrieben hat. Mein Atem beruhigt sich etwas, aber das ungute Gefühl bleibt. Atmen Alison… Atmen.

Ich verlasse das Fitnessstudio als es bereits dunkel ist. Zuerst gehe ich normal, dann renne ich zu meinem Auto auf dem Parkplatz. Ich habe schreckliche Angst verfolgt zu werden. Mein Atem geht so schnell, alles um mich herum verschwimmt. Ich muss hier weg. Als ich mich umdrehe, sehe ich einen Schatten neben dem Baum, der sich blitzartig weg bewegt. Das habe ich mir nicht nur eingebildet. Ich drehe mich um. Es sind nur noch wenige Meter bis zum Auto. Ich renne. Am Auto angekommen suche ich meinen Schlüssel, doch finde ihn nicht auf Anhieb. Meine Finger zittern. Keine Sekunde später sitze ich im Auto, verriegele das Auto und fahre vom Parkplatz. In Henrys Wohnung angekommen schließe ich mich komplett ein… wer war das? Wieso werde ich verfolgt? Ich will gerade die Rollläden herunter lassen, als mich wieder dieses Gefühl überkommt. Dieses Gefühl von Kälte. Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen Schatten weghuschen. Ich erschrecke, lasse den Rollladen ganz herunter, krieche unter die Decke und versuche etwas Wärme zu spüren. Doch da ist nichts… nicht als Dunkelheit…

Dunkelheit ist das totale Fehlen von Licht. Das fehlen von Hoffnung. Dunkelheit ist nichts…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 12

Glaubt ihr an Gott? An welche Religion glaubt ihr? Woher habt ihr die Sicherheit, dass das an was auch immer ihr glaubt es auch wert ist das man daran glaubt? Woher habt ihr die Gewissheit das die überlieferten Geschichten auch genauso passiert sind? Bin ich gläubig?

In vielen schlimmen Situationen hat mir beten geholfen und Trost gespendet. Ich kann nicht sagen zu wem ich gebetet habe. Ich bin von Natur aus eher weniger gläubig. Ich hinterfrage viel und viele Menschen können mir auf meine Fragen keine Antworten geben. Dabei braucht man doch Antworten, um Gewissheit zu haben, dass das an was man glaubt wahrhaftig ist. Bin ich dadurch Fatalist? Atheist? Nein ich bin ich. Zu wem bete ich dann? Gott? Wie können so schlimme Dinge passieren? Sterne… vielleicht Sterne. Ich mag Sterne…

Meine Augenlieder lassen sich kaum öffnen. Alles ist wie benebelt und in Zeitlupe. Vor mir nehme ich nur schemenhaft das Paket war. Mit zitternden Händen hebe ich langsam den Deckel an. Zuerst denke ich, dass das Paket leer ist, doch ganz unten an der Seite klebt ein kleiner Zettel und ein vertrocknetes Blümchen. Auf dem Zettel steht: Du fehlst mir!

„Hm komisch bist du sicher das das Paket für mich ist?“ frage ich Lilly.

„Ja wieso?“ fragt Lilly zurück und lehnt sich über die Lehne des Sofas.

„Ich hab nichts bestellt und schon gar nicht ein vertrocknetes Blümchen“, sage ich und halte die Blume hoch. Ohne dem ganzen mehr Bedeutung zu schenken, lasse ich die Blume in das Paket fallen. Ich nehme das Paket und befördere es direkt in den Müll. So was aber auch. Ein merkwürdiges Gefühl begleitet mich, aber ich habe es satt mir immer Sorgen zu machen und beschließe es einfach zu ignorieren. Heute steht etwas wichtigeres an… wir besuchen Papa und erklären ihm warum Lilly wieder da ist. Hoffentlich gehen wir danach gemeinsam und in Frieden Essen.

Ich schlüpfe gerade in mein knielanges schwarzes Kleid, dass mit weichem Stoff sanft über meine Hüfte fällt. Dazu passend meine schwarzen Stiefeletten. Gerade als ich meine Haare zurecht rücke, betritt Henry das Schlafzimmer. Er lehnt lässig an dem Türrahmen und beobachtet mich. Obwohl meine Schuhe zu sind, beuge ich mich nochmal nach unten und rücke meine Schuhe zurecht. Henry brummt an der Tür und dreht den Kopf weg.

„Verrückt Alison… du machst mich verrückt!“ flucht Henry und verdeckt sein Gesicht. Mit langsamen Schritten gehe ich auf ihn zu. Kurz bevor ich bei ihm bin, dreht Henry den Kopf wieder zu mir. Mit einem großen Schritt ist er bei mir. Seine Hand legt er wie selbstverständlich auf mein Taille und schaut mir tief in die Augen. Ich liebe es wenn er mich so ansieht. Er sieht dann nur mich, wie ich jetzt und hier bin. Dieser Blick gibt mir Hoffnung, dass ich immer so sein kann und nicht dieses Häufchen Elend, welches manchmal an die Oberfläche kommt. Dieser Blick sagt mir, wie viel er für mich empfindet. Dieser Blick der mir sagt, dass ich sicher bin.

„Du siehst wunderschön aus“ haucht Henry kurz bevor er mich küsst. „Das Schuhmanöver wirst du noch bereuen“ und damit beißt er mir in die Unterlippe.

„Hey…“ will ich mich wehren und schlage ihm leicht in die Magengrube. Wir beide Lachen und küssen uns erneut. Ich liebe dieses unbeschwerte. Ich begutachte meinen Mann. Er hat eine dunkle Jeans an und ein weißes Hemd. Klassisch aber super sexy. Sein drei Tage Bart macht sein Gesicht markanter und verdeckt die kleinen Grübchen. Hübscher Mann…

Wir steigen gerade aus dem Auto aus und haben unsere Geschichte nochmal besprochen. Wir werden die Tür öffnen, Überraschung schreien und Papa wird Lilly willkommen heißen. Das ist der einfache Teil. Der schwierige Teil wird sein, Papa zu überreden, dass Lilly wieder bei ihm wohnen kann zumindest vorerst. Mit ihrem Abgang vor Jahren hat sie unseren Vater sehr verletzt. Seit dem ist das Verhältnis von beiden von Stimmungsschwankungen geprägt. Keine Sekunde später stehen wir in meinem Haus und Papa und Lilly liegen sich in den Armen. Er freut sich so sehr, dass meine Bedenken sofort erloschen sind. Natürlich fragt er sofort nach was passiert ist und wieso Lilly wieder hier ist. Er bietet ihr auch sofort ein Zimmer an… puh der Abend ist gerettet. Ich atme auf und Henry legt einen Arm um mich. Wie konnte ich nur so lange ohne meinen Beschützer auskommen. Der restliche Abend ist einfach nur super. Wir lachen über Witze und alte Geschichten… unbeschwert. Ich liebe es unbeschwert.

„Hast du alles abgeschlossen?“ fragt Henry aus dem Bad.

„Ja hab ich“, antworte ich. Ich schließe immer alles ab. Die Sicherheit brauche ich, um einschlafen zu können.

„Der Abend war wirklich sehr schön. Dein Vater scheint Lilly direkt wieder ins Herz geschlossen zu haben“, sagt Henry auf dem Weg vom Bad ins Schlafzimmer.

„Ja unser Vater kann und nicht lange böse sein. Dafür genießt er die Zeit mit uns viel zu sehr“, erzähle ich, als ich mich unter die Bettdecke Kuschel.

„Wieso hat er keine neue Frau? Oder zumindest eine Freundin?“, fragt Henry und klettert unter die Decke.

„Hm… meine Mutter war für meinen Papa die wahre Liebe. Als das alles passiert ist, hat er sich dafür verachtet blind vor Liebe gewesen zu sein. Er konnte sich nie wieder so fallen lassen. Ich selbst habe mehrere Versuche gestartet, ihm eine Frau vorzustellen. Doch mein Vater zeigte nie wirkliches Interesse. Er ist zu allen Frauen in seinem Umfeld der perfekte Gentleman aber näher kommt ihm keine Frau. Zumindest bis jetzt noch nicht…“ während ich das erzähle, beobachtet mich Henry aufmerksam.

„Hm das klingt nach viel Einsamkeit… aber ich denke er kann froh sein euch zu haben“, antwortet Henry und küsst mich. „Weißt du übrigens, dass wir zum ersten Mal alleine sind seit Lilly aufgetaucht ist?“, haucht Henry und schon befinden sich seine Hände auf mir und er zeigt mich an sich.

„Hm vielleicht…“ antworte ich und bin mit einem Mal auf ihm. Sein Brummen bestätigt mich und lässt mich weiter machen. Ich ziehe mein T-Shirt aus (naja eigentlich schlafe ich in seinen T-Shirts). Sein Blick wandert zu meinen Brüsten und zu meinem Bauch. Er setzt sich auf und legt eine Spur aus Küssen von meinem Bauch über meine Brüste zu meinem Hals. Ich schlucke schwer aber genieße, wie er mich dabei ansieht. Jetzt gerade gibt es nur Henry und mich. Langsam bewege ich meine Hüfte vor. Henry streicht mit seinen Händen langsam meinem Rücken hinauf. Ich bekomme eine Gänsehaut. Meine Hände sind auf seinen Schultern und in seinen Haaren. Ich liebe es durch seine Haare zu fahren. Unsere Lippen sind nur noch Millimeter von einander entfernt. Plötzlich dreht mich Henry und er liegt über mir. Ich fahre mit meinen Händen unter sein T-Shirt und kratze langsam mit meinen Nägeln an seiner Haut. Er legt den Kopf hinter und brummt wieder. Ich küsse seinen Hals und anschließend finden sich unsere Lippen. Ziemlich schnell wird es ziemlich leidenschaftlich. Henry zieht sein T-Shirt und seine Hose aus. In seiner Boxershort ist die leicht Wölbung zu sehen, nach der ich mich so sehr sehne. Danach bewegt er sich langsam zu mir herunter und ist nun mit seinem kompletten Gewicht auf mir. Ich liebe diesen Druck, denn so passt nichts mehr zwischen uns. Meine Gedanken verlieren sich und kreisen nur noch um Henry. Mein Körper ist kurz vor dem explodieren, mein Atem geht schnell. Henry stoppt kurz vor meinem Mund.

„Etwas langsamer Sweety… das ist die Strafe für die Schuh-Aktion.“ Er bewegt sich nur langsam. Zu langsam… als würde ich zerbrechen. Aber er will mich ärgern also überlege ich, wie ich ihn herausfordern kann. Ich weiß er dreht fast durch wenn ich seinen Namen hauche, also wiederhole ich in kurzen Abständen seinen Namen. Keine Minute später kann er sich kaum noch zügeln und zieht das Tempo wieder an. Unsere Lippen fordern mehr. Ich will mehr… ich will alles von ihm. Langsam zieht er mir mein Höschen aus und anschließend seine Boxershort. Er bewegt sich langsam zu mir herunter und starrt mich mit halb geöffneten Augen an. In seinen Augen steht pures Feuer und Lust. Seine Lippen grinsen leicht, denn er weiß genau was er tut.

Ein Höhepunkt, wie ihn nur Henry zaubern kann. Wir kommen gleichzeitig und küssen uns anschließend leidenschaftlich weiter. Henry bleibt anschließend gerne auf mir liegen, da er weiß wie sehr ich diesen Druck liebe. Er ist immer noch tief in mir drin, aber genau da möchte ich ihn haben. Sein Gesicht ist an meinem Hals verborgen und atmet schwer. Ich streichle mit meinen Händen über seinen Rücken und seine Haare… ich wünschte so könnte es immer sein… für immer…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 11

Nach der Arbeit fahre ich nach Hause. Mein Vater ist auch zu Hause. Er sitzt in seinem Räumchen und dreht Zigaretten. Mein Vater ist mein ein und alles, mein Anker und mein Beschützer. Als uns damals meine Mutter verlassen hat, sind wir beide tief gestürzt. Er hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin, er war immer und bedingungslos für mich da. Zusammen haben wir schwere Zeiten durchgestanden. Sehr schwere Zeiten.

„Hey Schatz wie war dein Tag?“, fragt mich mein Vater und blickt kurz auf. Ich antworte: „Achja gut aber auch anstrengend. Ich will gleich noch ins Fitnessstudio. Und deiner?“, frage ich und gebe ihm einen Kuss auf den Kopf. Sein Haaransatz geht langsam zurück und einige Falten lassen sich nicht mehr verbergen. Er hatte letztens erst seinen zweiten Bandscheibenvorfall und kann sich nur schwer bücken. Zugeben ist hier jedoch fehl am Platz. Mein Vater würde nie zugeben, dass er krank ist oder nicht mehr kann. Er arbeitet als Notarzt im Krankenhaus und das ist wahrlich nicht leicht auf der Arbeit. Nur selten spricht er mit mir darüber.

Er nickt und dreht weiter seine Zigaretten. Mein Vater ist der einfühlsamste Mensch den ich kenne. Seit meine Mutter ihn verlassen hat, hat er keine andere Frau mehr angeschaut. Er selbst sagt, sie war die Liebe seines Lebens. Das war jedoch für meine Mutter nicht so. Ein Herzens guter Mensch und trotzdem verletzt worden. Tief verletzt. Er gibt sich oft die Schuld für das was mit mir passiert ist. Er weiß alles… aber wir sprechen nicht mehr darüber. Seine Schuldgefühle werden dann zu groß… ich habe ihm nie die Schuld gegeben. Die Schuld liegt bei jemand anderem… ich weiß ich kann vor ihm das mit Lilly nicht lange verbergen. Aber das darf ich nicht entscheiden, sondern Lilly. Unser Vater opfert alles für uns und glaubt dabei nur an das Gute. Aber auch Lilly hat schlechte Seiten.

Ich fahre auf die Auffahrt des Fitnessstudios auf und halte wie immer Ausschau nach einem ganz bestimmten Auto. Als ich es finde macht mein Herz Luftsprünge. Es ist Henrys Auto. Ein sehr schicker schwarzer Mercedes in Sportedition. Einmal hat er mich damit fahren lassen und konnte es keine dreizig Minuten aushalten, dass ich am Steuer war. Männer und ihr Autos. Ich parke mein Auto (ein kleiner beerenfarbener Minicooper) und gehe ins Fitnessstudio. Ich ziehe mein Standard zwei Stunden Programm durch, erst Crosstrainer, Dehnübungen, Krafttraining, Zirkeltraining und dann noch eine Runde Ausdauertraining auf dem Fahrrad. Ich bin gerade eine Etage höher und dehne meine Schulter und Rücken, als von hinten jemand an mich herantritt und mich begrabscht. Bevor ich sauer reagieren kann, merke ich wie bekannt mir die Hände sind. Es sind Henrys. Blitzschnell drehe ich mich um. Unsere Lippen finden sich automatisch. Er verschwitzt, ich verschwitzt… Henry hebt mich hoch und drückt mich gegen die Wand. Blitzschläge lassen meinen Körper erzittern. Mir ist gerade völlig gleich, dass uns jemand so sehen könnte. Henrys Hände haben Talent. Sie halten mich gleichzeitig und bearbeiten meinen Körper. Ein kleines Brummen macht sich in seiner Brust breit. „Oh Gott Henry…“ stöhne ich total außer Atem. Aber ich möchte nicht aufhören. Ich lege eine Spur aus Küssen an seinem Hals entlang, von einem Ohr zum anderen. Ich drücke meinen Rücken durch, um noch näher an ihm zu sein. Ich muss ihn noch mehr spüren. Plötzlich knallt es hinter uns. Wir schrecken beide hoch, doch es war nur ein Windstoß, der die geöffnete Balkontür zugeschmissen hat. Schnell atmend versuchen wir noch zu lachen doch es klingt sehr komisch. „Du machst mich wahnsinnig Alison…“ haucht Henry an mein Ohr, gibt mir einen kurzen flüchtigen Kuss und verschwindet. Fast macht sich Enttäuschung in mir breit, als Henry ruft: „Kommst du? Wir müssen dringend nach Hause!“ Das ist mein Stichwort…

Wir fahren gerade gleichzeitig und die Auffahrt ein. Ich bin zuerst an der Tür, öffne diese und warte dahinter. Henry kommt langsam angelaufen, doch bevor er die Tür erreicht schließe ich sie mit einem Luftkuss. „Wahnsinnig! Du machst mich wahnsinnig“, ruft Henry hinter der Tür. Ich eile zur nächsten Tür und ziehe das gleiche Spielchen durch. „Wahnsinnig nach dir… Alison.“ Ich stehe direkt hinter der Schlafzimmertür, als mein Muskelprotz um die Ecke kommt. Er greift mich an den Armen und wirft mich über die Schulter. Ich schreie nur und versuche zu treten doch nichts. Er ist so viel stärker. Keine Sekunde später liege ich auf dem Bett. Henry ist direkt über mir. Neckend langsam beugt er sich zu mir und bleibt Millimeter vor meinem Mund stehen. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut. Gänsehaut am ganzen Körper. Ich kann nicht mehr warten und Schlinge meine Arme und Beine um ihn und küsse ihn. Plötzlich klopft etwas an die Tür.

„Leute ihr wollt es doch nicht tun während ich hier bei euch bin… das ist mega ekelig“, schreit Lilly hinter der Tür. Wir beide stöhnen auf und lachen gleichzeitig. „Schatz Lilly muss ausziehen und zwar dringend, sonst gibt’s weniger hier von“, haucht Henry und küsst die empfindliche Stelle an meinem Ohr. Lilly muss definitiv ausziehen…

Als wir uns wieder beruhigt haben, gehe ich ins Wohnzimmer. Dort steht ein Päckchen auf dem Tisch. „Achja so ein komischer Postbote hat das vorbei gebracht. Der war mal merkwürdig. Total in schwarz gekleidet“, sagt Lilly so neben bei. Ich atme schneller und schneller. Das kann doch nicht sein….Atmen Alison… Atmen

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 10

Rasend schnell stehe ich auf und verschwinde ins Bad. Ich brauche erst mal meine Ruhe und muss meinen Atem beruhigen. Henry folgt mir direkt und umarmt mich. Er hält mich so fest, dass ich mich langsam entspanne. Atmen Alison… denk an den Wald und die frische Luft. Klammer dich an deinen Anker. Atmen… Atmen…

Nachdem ich mich beruhigt habe versuche ich möglichst das Thema zu umgehen. Ich bin eine schlechte Lügnerin. Wenn ich also nicht will, dass die Menschen die mir Nahe stehen etwas erfahren, dann darf ich die Themen nicht ansprechen und muss mit anderen Themen ablenken. Darin bin ich mittlerweile ganz gut. Gemeinsam mit Henry bereite ich das Frühstück zu. Wir tragen die Lebensmittel auf den Esstisch, an dem Lilly bereits sitzt. Sie starrt mich an. Genau diese Momente wollte ich immer vermeiden. Ich gehe zu ihr hin, lege meinen Arm von hinten um ihren Hals und gebe ihr einen Kuss auf den Kopf. „Es geht mir gut. Bitte belass es dabei. Außerdem müssen wir besprechen, was los ist und wie es weiter geht“, antworte ich mit einer möglichst ruhigen Stimme. Ablenkung wie schon gesagt. „Lilly wieso bist du hier? Was ist passiert?“, frage ich Lilly, als wir uns an den Tisch setzen.

„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll. Es ist so viel passiert und ich konnte einfach nicht mehr zu Hause bleiben. Ich musste weg…“, beginnt Lilly. Sie erzählt uns, dass sie Streit mit ihrem Freund hatte, den meine Mutter nie akzeptiert hatte und gegen den unsere Mutter immer wieder neue Intrigen gestartet hatte. Leider ist Lilly so naiv viele Geschichten und Manipulationen von unserer Mutter nicht mitzubekommen. Meine Mutter hat dann wohl heimlich Lillys Freund Sam geschrieben, dass sie von ihm verlangt mit Lilly Schluss zu machen. Daraufhin habe Sam unserer Mutter gedroht und diese Nachricht hat unsere Mutter dann gegen Lilly verwendet, um beide auseinander zu bringen. Als Lilly dahinter kam, stellte unsere Mutter sie vor die Wahl. Entweder er oder sie. Meine Schwester entschied sich gegen beide und buchte den nächsten Zug hier her.

„Ich merke immer erst zu spät, wann sie ihre Tentakel ausgebreitet und die Bomben platziert hat… wieso Fall ich jedes Mal darauf rein?“, Lillys Stimme bricht ab. Ich umarme sie und versuche ihr Trost zu spenden. „Das ist ihr Fluch. Sie hypnotisiert, sodass es unmöglich ist sich zur Wehr zu setzen… ich weiß wovon ich rede“, antworte ich. „Aber du konntest dich von ihr lösen. Du lebst mittlerweile dein eigenes Leben weit weg von ihr. Du könntest dich befreien…“, weint Lilly. Ja aber nur weil sie mir das Schlimmste angetan hat, was ich dir niemals sagen kann, denke ich aber spreche es nicht aus. „Ja aber nur weil ich unseren Vater hatte… und Henry. Sie haben mich wieder zusammen gepuzzelt, aber du siehst wie heute Morgen ganz entkommen kann man nicht…“, auch meine Stimme bricht ab.

Wir beschließen, dass Lilly erst einmal bei uns bleibt, bis wir einen Plan haben unseren Vater einzuweihen. Als Lilly unter der Dusche steht, räume ich ihr das Gästezimmer ein. Zum Glück hat Henry damals eine recht große Wohnung gekauft. Als ich gerade den Schrank einräumen möchte, überkommt mich ein Gefühl. Ein schreckliches Gefühl von Kälte. Kälte aus der dir nicht mehr warm wird. Gänsehaut überkommt meinen ganzen Körper. Ich hoffe ich halte das alles durch. Ich muss… ich muss jetzt für meine Schwester da sein. Da darf ich nicht schwach sein… du schaffst das Alison. Alles zieht rechts vorbei…

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 9

Ich wache auf und bin dankbar für eine Nacht ohne Alpträume. Ich öffne meine Augen und sehe Henry. Er blickt mich an. Sein Blick geht mir durch die Seele. „Guten Morgen Sonnenschein“, haucht er mit tiefer Stimme. Sofort bekomme ich eine Gänsehaut. Bevor er mich überraschen kann, habe ich bereits meinen eigenen Plan. Ich drehe mich blitzschnell auf ihn und entlocke ihm ein kleines Brummen. Ich liebe dieses Brummen. Sanft küsse ich ihn. Er erwiderte sofort den Kuss und berührt mich mit seinen Händen. Seine eine Hand liegt auf meiner Wange und seine andere Hand wandert von meinem Rücken zu meinem Hinterteil und wieder zurück. Der Kuss wird leidenschaftlicher und unser Atem geht schneller. Das kann nur er mit meinem Körper und meinen Gefühlen anstellen. Ich küsse von seinem Mund zu seinem Hals und über seine Brust. Sein Mund und sein Körper sind einzigartig. Er schmeckt nach Wald und frischer Luft mit einem Hauch Vanille. Schlagartig dreht Henry mich um und ist über mir. Er bewegt sich langsam, was mich um den Verstand bringt. Genau das brauche ich. Nur Henry und nur die Gedanken an ihn. Mein Henry… wie konnte ich ihn nur gehen lassen.

Kennt ihr das wenn ihr etwas erfahrt von eurer Familie und danach denkt, wie kann ich mit denen Verwandt sein. Leider trifft mich diese Erkenntnis immer öfter.

Es klingelt gerade, als ich zu Bett gehen will. Es ist bereits nach 22 Uhr. Wer klingelt noch so spät. Henry steht unter der Dusche. Ich eile zur Tür und schaue durch den Türspion. Ich traue meinen Augen kaum, als ich meine Schwester vor der Tür stehen sehe. Sofort öffne ich die Tür. Ihre Augen sind geschwollen, sie hat geweint. Hinter ihr stehen Taschen und Koffer. Ich kann nicht glauben das sie hier ist. Wir haben schon länger sehr wenig Kontakt zueinander. „Alison bitte! Ich brauche deine Hilfe!“, schluchzt sie. „Lilly was machst du hier? Wie bist du her gekommen?“, ich weiß nicht was ich sagen soll. „Bitte komm rein und setz dich erst mal“, antworte ich. Ich bringe sie zur Couch, Schütte ihr ein Glas Wasser ein und hole die Taschen und Koffer herein. Gerade als ich mich zu ihr setzen will, höre ich Henry die Dusche ausschalten. Ich stelle Lilly das Glas hin und gehe zu Henry ins Bad.

„Mhm will da jemand doch noch nicht schlafen“, haucht Henry und zieht mich an sich. Er ist noch überall voller Wassertropfen. Kurz bevor er mich küsst sage ich: „Henry wir haben ein kleines Problem. Meine Schwester Lilly ist da“. Er kennt sie nicht, nur wenige Erzählungen von mir. Ich traue mich nicht ihm alles zu sagen. Er könnte mich dann verachten oder nicht mehr wie jetzt ansehen. Aber Henry weiß genau, dass da mehr ist. Er bohrt aber nicht weiter nach. Henry und ich gehen zu Lilly. Sie ist bereits eingeschlafen. Ich zeige ihr die Schuhe aus und decke sie mit einer Decke zu. Henry beobachtet mich und räumt die Taschen bei Seite. Heute Nacht kann sie erst mal hier schlafen. Morgen schauen wir weiter.

Wieso ist sie hier? Wie hat sie mich nur gefunden? Tausend Fragen verhindern meinen Schlaf. Henry beobachtet mich. Er weiß genau, das mein Gehirn Salti schlägt. Seine Finger streicheln über meine Wange. Er ist mir plötzlich so nah. Ich kann mich kaum noch bewegen. Henry zieht mich nah an sich und streichelt mir über das Haar. Irgendwann finde ich dann doch Schlaf…

„Bitte nicht! Bitte nicht! Bitte… NICHT!“, schreiend und schwitzend wache ich auf. Henry scheint noch zu schlafen. Ich schaue auf und entdecke in der Ecke eine dunkle Gestalt. Die dunkle Gestalt. Wie?… NEIN! Ich wache wirklich auf. Henry neben mir, vollkommen geschockt. Am Bett steht Lilly, mit genauso geweiteten Augen. Ich muss ziemlich laut geschrien haben. „Du hast immer noch diese Alpträume?“, fragt Lilly entsetzt. Ich habe diese Alpträume, damit du sie nicht haben musst…aber das darf sie nie erfahren.

Fortsetzung folgt

– Jo

Teil 8

Wie konnte das passieren? Wie konnte sie mich finden? Mein Atmen geht schneller, viel zu schnell. Ich muss hier raus. Ich muss weg. Nein Alison! Nein! Du willst deinen Dämonen keinen Platz in deinem Leben lassen. Das ist alles nicht passiert. Ich beschließe den Anruf zu ignorieren und auch wer an der anderen Leitung war.

Tila, ein Mädchen aus meiner Gruppe kommt zu mir und fragt, ob sie ein Eis kaufen dürfe, dass habe sie vergessen. Wir gehen zusammen zurück zum Laden, zum Eisfach und suchen uns eine Vielzahl an Eissorten aus, die wir alle später essen wollen. Erdbeere, Schokolade, Walnuss, Vanille, Mango und Joghurt. Tila umarmt mich, schmiegt sich an mich und ich lege einen Arm um sie. Zusammen gehen wir so zur Kasse und bezahlen. Genau das brauche ich jetzt. Realität und die Arbeit. Tila braucht mich. Die anderen Jugendlichen brauchen mich auch. Hier kann ich etwas Gutes machen und anderen Helfen, die sich selbst nur schwer helfen können.

Wir fahren mit den Einkäufen zurück zur Gruppe. Dort angekommen laden wir die Einkäufe aus und die anderen Jugendlichen helfen uns dabei. Ruck zuck sind die Einkäufe eingeräumt. Ich fahre mit dem Bus auf die andere Seite, in den Hof. Oben in der Gruppe angekommen, wartet bereits ein Jugendlicher auf mich. Mohammad ein Jugendlicher aus Somalia steht vor mir und möchte dringend reden. In der Gruppe bin ich als Beziehungsmonster bekannt. Beziehungsarbeit ist genau mein Ding. Ich bin super in Gesprächen und Aufarbeitung von Gefühlen oder Traumata. Ich versuche die Jugendlichen so zu verstehen, wie sie wirklich sind. Das hilft mir sehr in meiner Art zu Arbeiten. Die Jugendlichen schätzen das sehr und ich mag den gegenseitigen Respekt, trotz kultureller Unterschiede. Ich schicke alle Jugendlichen und Betreuer aus dem Büro und nehme mir Zeit für Mohammad. Zuerst will er nicht mit der Sprache heraus und versucht sich im Smalltalk. Es dauert jedoch keine Minute bis er sich bei mir anlehnt und erzählt, dass sein Vater gestorben sei. Sein Vater lebte zusammen mit seiner Mutter und den restlichen Geschwistern in Somalia. Dort litt er jedoch an einer Krankheit, an der er auch letztendlich gestorben ist. Mohammad trifft das ganze schwer. Seit er von seiner Familie vor drei Jahren weg ist, hatte er keinen Kontakt mehr. Wir weinen eine Zeit gemeinsam und ich versuche ihn mit allem was ich kann zu trösten. Wir nehmen uns vor am nächsten Tag in eine Kapelle zu fahren und eine Kerze als Gedenken anzuzünden. Diese Idee spendet ihm Trost. Die nächsten Wochen werden sehr schwer für ihn. So etwas kann man nur schwer nachvollziehen. Die Machtlosigkeit und teilweise Hoffnungslosigkeit ist allumfassend und lähmend. Wie ein schwarzes Loch, dass alles aufsaugt ohne Ausnahme.

Nach dem heutigen Tag freue ich mich richtig zu jemanden nach Hause zu kommen, der bereits auf mich wartet. Wie selbstverständlich stecke ich den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffne die Haustür. Henry kommt mir aus der Küche entgegen mit einem Glas Weißwein. Er umarmt mich und küsst mich, als hätten wir die letzten Jahre nichts anderes gemacht. Seine Hand ruht auf meinem Rücken. Die Wärme, die er ausstrahlt, löst direkt ein Feuerwerk der Gefühle in mir aus. Ich ziehe ihn erneut zu mir und küsse ihn. Aber diesmal versuche ich all meine Dankbarkeit in den Kuss zu legen.

„Hmm… womit habe ich diese stürmische Begrüßung verdient?“, schmunzelt Henry mit einem bittersüßen Lächeln auf den Lippen. „Wie war dein Tag?“, frage ich ihn, um von meinem Tag abzulenken. „Achja so dies und das. Hauptsächlich habe ich da an die eine Frau gedacht, die ich noch nie richtig vergessen konnte. Du kennst sie vielleicht, klein, blond, mega süßes Lachen und ich liebe es wenn sie sauer wird, damit zieh ich sie so gerne auf.“ Ich boxe ihm in die Seite. „Ihr geht es genauso. Sie kann diesen Hammer Typen auch nicht vergessen. Diese Arme…“, sage ich während ich ihm über seine Muskeln streichen. „Dieser Bauch…“, hauche ich, als ich seinen Bauch berühre. Innerhalb von einer Sekunde lacht Henry auf. Ich habe seine kitzelige Seite erwischt. Er gibt mir einen süßen Kuss und reicht mir das Weinglas. Ich möchte das es immer so bleibt, also verrate ich ihm nichts von dem Anruf. Es würde ihm nur wieder Sorgen bereiten und gerade ist es so unbeschwert. Also antworte ich: „Mein Tag war stressig aber vollkommen normal. Mir geht es schon besser, mach dir bitte keine Sorgen…“, ganz tief im Innern mache ich mir aber Sorgen…

Fortsetzung folgt

– Jo